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Als Kinder entdecken wir den Zauber der Dreidimensionalität – erfahren Raum, Falltiefe (aua), Gewicht (peng) und … Trennung: Denn wenn es Raum gibt, gibt es auch Grenzen, gibt es Innen und Außen, ich und Du. Damit einher gehen die Belehrungen unseres Umfeldes: „Das ist passiert, weil…“ und unser Geist beginnt, sich die Reihenfolgen und Zusammenhänge zu merken, die ihm vermittelt werden. Das setzt sich in Schule und Studium noch fort, bis wir tatsächlich glauben, ein Gegenstand falle zur Erde, weil seine Masse geringer als die der Erde sei, oder: unsere Zellen würden uns selbst auffressen, weil in China Gift in die Flüsse fließt.
Solange wir uns unterhalb der Raumzeit-Ebene bewegen, entsteht der Eindruck einer sehr begrenzten Wirklichkeit: Ereignisse sind linear hintereinander aufgereiht, es gibt Einflussfaktoren, die jenseits unseres Zugriffs in der Vergangenheit oder Zukunft liegen und somit entsteht Kausalität.
Kausalität führt Ursache und Wirkung auf ein festes Gefüge von Ereignissen zusammen: Wenn A … dann B. Der Irrglaube an solch feste Zusammenhänge erzeugt ein starres Korsett an „Realität“ – ob sie nun aus den eindimensionalen Gesetzen der alten Naturwissenschaften oder aus Vorstellungen über Karma, Schuld und Belohnung herrühren.
Die meisten Menschen halten sich selbst lebenslänglich in diesem Korsett gefangen.
Mir persönlich dämmerte spätestens während meines zweiten Studiums (die Naturwissenschaften hatte ich damals schon als wirklichkeitsfern verworfen), dass dieses Konzept von Wirklichkeit ein einschränkendes, irreführendes ist: Ich befasste mich damals mit Ökonomie, speziell mit der Vorhersage von (wirtschaftlichen) Ereignissen, die erforderlich war, um den „richtigen Preis“ für Unternehmen oder Transaktionen zu bestimmen. Im Rahmen meiner Diplomarbeit verglich ich die Treffsicherheit (kausaler und sehr komplexer) Rechenmodelle mit der intuitiven Einschätzung von Menschen, die zwar nicht mit den Rechenmodellen, aber mit der Sache (also Unternehmen und ihren Abläufen) vertraut waren. Die Ergebnisse aus der – sogenannten – Intuition waren um ein Vielfaches näher an dem, was sich in der Zukunft ereignete und den Wert des Unternehmens bestimmte, als die Prognosen aus den kausalen Modellen.
Die Erklärung, die ich hierfür fand, ist einfach: Alle Informationen, die zur Einschätzung einer Situation benötigt werden, sind in der Gegenwart vorhanden. Ich will sogar noch weiter gehen: Es GIBT nur die Gegenwart. In ihr ist alles enthalten. Und es ist eine Frage der seelischen Reife, dies wahrzunehmen und zu nutzen.
Eine der wichtigsten Nachrichten ist wohl: Zeit ist eine bestimmte Wahrnehmungsebene, an die wir nicht gebunden sind.
Das, was unser Verstand als Zukunft oder Vergangenheit „bewertet“ ist … jetzt. Wie viele Menschen kämpfen für Vergessen oder Erlangen ? Verschwendete Lebensenergie !, sage ich. Wenigstens, wenn der Kampf nicht ein bewusst gewähltes Spiel der Freude ist. Denn die vermeintliche Vergangenheit – Ereignisse, die wir in uns tragen, erINNERN, sind solider Teil der Gegenwart. Alles, was wir er-LEBT haben, wird Teil unserer Wahrnehmung, unserer Wirklichkeit und … unserer Gegenwart. Und ebenso verhält es sich mit der Zukunft: Wenn wir Träume erschaffen, Ziele, Wünsche, Sehnsüchte, so sind sie manifester Teil der Gegenwart. Aber Achtung: Ein Traum von X ist nicht die Manifestation X. Es sind zwei völlig verschiedene Qualitäten, ob ich mich nun nach dem Liebsten sehne – oder ob ich ihn hier und jetzt in meinen Armen halte. Beides ist gegenwärtig in dem Moment, in dem ich es fühlen kann. OB ich es wahrnehme, ob ich es zum gelebten Teil meiner Wirklichkeit mache, ist wiederum: Eine Frage der Reife meiner Seele.
Die Gegenwart erfassen: Eine Frage der Konzentration
Irgendwann in meinem Leben empfand ich es als die wichtigste Übung für meinen Weg, so viele Wirklichkeiten wie möglich wahrzunehmen. Das bedeutete, dass ich mein Bewusstsein ausdehnen musste, meine Aufmerksamkeit sehr diszipliniert verteilen musste auf verschiedene Ebenen der Wirklichkeit.
Wenn ich etwa mit jemandem im Wald saß und ein Gespräch führte, versuchte ich, voll präsent mit meinem Gegenüber zu sein und zugleich den Vorgängen zwischen Bäumen und Himmel zu folgen, zugleich teilzunehmen an Ereignissen, die viele hundert Kilometer von uns entfernt waren. Interessant war, dass ich mit fortschreitender Übung alle – alle – fokussierten Ereignisse klarer und vollständiger wahrnahm als zuvor. Gleichzeitig. Hier überbrückte ich durch Konzentration zunächst einmal nur den Raum. Es ließ sich durch Rückfragen teilweise gut überprüfen, ob meine synchronen Wahrnehmungen zutrafen, oder sie sich lediglich in meiner Phantasie abgespielt hatten. Ich wurde besser. Eine Fernbeziehung (mehrere tausend Kilometer entfernt), erlaubte mir, meine Übungen aus der reinen Beobachtung in das synchrone, sinnlich-körperliche Erleben zu transferieren: Ja, es ist möglich, an mehreren Orten zugleich aktiv zu erleben und zu gestalten. Probier es aus !
Nach und nach wuchs meine Fähigkeit, mich mittels weniger „Ankerpunkte“ in gänzlich fremde Situationen zu begeben, diese zu betrachten, zu analysieren… und gegebenenfalls einzugreifen.
Zum Beispiel habe ich es oft mit Klienten zu tun, die einem mir völlig fremden Feld angehören: Eine Organisation, eine Familie, ein Wissensgebiet. In diesen Feldern gibt es Probleme, von denen mir die Klienten berichten. Sie selbst können Zusammenhänge, Ursachen und Lösungen nicht erkennen. Dadurch, dass sie in Kontakt mit dem Feld und seinen Protagonisten sind, ist es mir jedoch möglich, mich „einzuklinken“, Sachverhalte zu benennen, die bisher unbetrachtet blieben… und somit zu einer Veränderung des Feldes beizutragen.
All dies sind nur Beispiele, sich zeit-ungebunden im dreidimensionalen Raum zu bewegen. Die genutzten Ressourcen werden Synchronizität und Resonanz genannt.
Der fünfte Raum oberhalb von Masse und Zeit
Nun gibt es aber auch die Möglichkeit, außerhalb der alltäglichen Dreidimensionalität und außerhalb der linearen Zeitfolge wahrzunehmen – und zu gestalten.
Ein einfaches Beispiel findet sich für all jene, die sich künstlerisch betätigen. Zum Beispiel mit Hilfe eines Instruments.
Vor etwa drei Jahren entdeckte ich, dass ich mit meiner Klarinette, die ich technisch gut beherrschte und auf der ich seit mehr als 25 Jahren alle möglichen Konzerte rauf und runter spielte, nicht frei spielen konnte. Meine „Musik“ war gefangen in Noten und Klängen, die lange, lange schon notiert waren und nur in einem begrenzten Varianzraum „richtig“ gespielt werden konnten.
Da erinnerte ich mich an Stunden und Tage und Nächte, in denen ich als Kind alleine im Baum oder im Zimmer saß und mit meiner Bockflöte Melodien aus dem „Nichts“ schöpfte. Das erINNERte Empfinden aus diesem freien Spiel in der Musik erwachte neu in mir und ich konnte den unbegrenzten Raum der Musik wieder ahnen. Diese Fähigkeit war mir über all die Jahre meines Klarinettenstudiums verlorengegangen – und es machte mich traurig, mich so weit von der wahren Musik entfernt zu haben.
So besorgte ich mir ein anderes Instrument – eine Querflöte. Und ich erlegte mir auf, diese Flöte ohne Theorie und ohne Noten zu erschließen. Die Musik kam nicht auf Befehl – so, als hätte ich das Notenbuch aufgeschlagen, eine Note nach der anderen lesend, spielend. Ich brauchte ein wenig Geduld, musste mich selbst in den offenen Raum begeben, der in der Gegenwart aufgespannt ist, die Flöte, die Lippen, den Wind, die Geräusche des Umfelds, …den Atem …. den Atem … das Wispern der Zeit sich ausdehnen lassen.
Und da kam Klang. Und Rhythmus. Ja, manchmal sogar Melodie. Musik liegt außerhalb der Zeitebene – das wissen alle, die ihren Zauber kennen. Und wenn ein paar zusammen spielen, die sich selbst in den Raum zu geben vermögen, dann spannt die Musik einen neuen Raum, einen Raum ohne Dimension, ohne Form und Grenzen, in dem wir uns begegnen können.
Doch auch die Nichtmusiker unter Euch seien angesprochen: Wir alle haben uns schon mit Fragen zu Schicksal, zu Verlust und Ohnmacht befasst.
Wer es nicht vermag, die Zeitdimension zu verlassen und im linearen Verlauf gefangen ist, leidet meist an Ereignissen, die vergangen sind oder an Umständen, die er nicht beeinflussen kann. Der Tod eines geliebten Menschen. Das Scheitern in einem Herzensprojekt. Die Zwänge, die aus einer Fehlentscheidung entstehen.
All diese Fragmente der Wahrnehmung – die gegenwärtig sind ! – verwirren oder schmerzen, solange wir sie als Fragmente in einer bestimmten, kausalen Reihenfolge betrachten: Damals war der geliebte Mensch da – jetzt ist er es nicht mehr. Davon war ich begeistert – alles habe ich eingesetzt – nun habe ich alles verloren. Wenn ich mich dagegen entschieden hätte, müsste ich jetzt nicht…
Kommt Dir das bekannt vor ?
Schmerz und Verwirrung schwinden, wenn diese Fragmente GLEICHZEITIG wahrgenommen werden: So fühlt es sich mit dem geliebten Menschen an (wie schön) – so fühlt es sich ohne ich an (ah, wirklich ohne … auch interessant).
Beides ist präsent. Beides kann ich fühlen und mit Leben füllen. Gleichzeitig. Oder auch Ereignisse in Zeitdimensionen, die jenseits des alltäglichen Rahmens sind: Es gibt Dinge, die kennen wir nicht (bewusst) – aber wir wissen sie. Es gibt Dinge, die haben wir noch nie gesehen – aber wir können sie spüren. Es gibt Menschen und Orte, die treffen wir zum erstenmal – und doch kennen wir ihr Wesen und ihre Geschichte.
Was glaubst Du – woher rührt dieses „Wissen“ ohne „Erfahrung“ ?
Raum plus Zeit als Bausteine für ein Individualbewusstsein
Meine „Idee“ von RaumZeit lässt sich am besten mit der Metapher von „Zeitscheiben“ beschreiben. Zeitscheiben als Segmente dessen, was gegenwärtig ist – aus sehr unterschiedlichen Zeitqualitäten. Einige dieser Zeitscheiben liegen im Raum so zueinander, dass sie eine Art „Rohr“ ergeben. Sie haben eine gemeinsame Achse. Dieses Rohr verstehe ich als Individualbewusstsein: Zu einem gewissen Grad kann dieses Individualbewusstsein sich über einzelne Zeitscheiben hinaus ausdehnen und gewinnt auf diese Weise Einblicke, sensorische und psychische Eindrücke und Gestaltmöglichkeiten in verschiedenen Raumzeit-Dimensionen.
Die lineare Bewegung in diesem „Wahrnehmungsrohr“ nennen die Nagualisten die „Verschiebung des Montagepunktes. (meine Alumni werden jetzt ausatmen ..:-D ) : Es gehört zu einer der Grundübungen der Bewusstseinsentwicklung, die Perspektive, aus der ein bestimmtes Ereignis in einer bestimmten „Zeitscheibe“ betrachtet wird, willentlich zu verschieben. Auf diese Art wird der Wahrnehmungshorizont analog erweitert. Westliche Mystiker sprachen hier von Zeitreisen und Translokation.
Die indischen Swamis sprechen zudem von Akasha, die sie über das Halschakra (Vissudara) betreten können. Hier wird – mithilfe des Atems und seiner Verbindung zu Prana – eine zusätzliche Wahrnehmungsebene geöffnet und fokussiert. Der Swami sitz also ZEITGLEICH in seiner Bambushütte vor einem Schüler UND findet Einblick in die karmische Identität seines Gegenübers, die sich in einer anderen Zeitscheibe ereignet.
Laß Dich nicht irreführen von den „großen“ Meistern und Worten, die ich hier aufrufe. Übe Dich selbst: Erschaffe selbst Experimente, in denen Du in andere Zeitscheiben eintauchen und Informationen finden kannst, die Dir aus deinem Alltagsbewusstsein nicht zur Verfügung stehen. Dann geh und überprüfe das gefundene Wissen.
Demut und Liebe sind der Boden allen Wachstums
Unser Bewusstsein mag zeitlos sein – doch wenigstens unser Körper ist es nicht. Als der oder die, der Du bist, steht Dir eine begrenzte Lebenszeit zur Verfügung, begrenzte Kräfte und Erfahrungsfelder. Versteige Dich nicht in die Illusion der Grenzenlosigkeit oder Allmacht. Doch wenn Du Dich erfahren und ausdehnen willst, so weit Du es als der oder die, die Du bist, vermagst, überprüfe, was Du für Wissen hältst und mach Dich auf deinen ganz eigenen Weg, Wirklichkeit zu erkunden. Anders, als die Ängste der Versteinerten es vermitteln, wirst Du mit dem notwendigen Quantum an Demut keineswegs in eine Phantasiewelt abdriften oder den Realitätsbezug verlieren. Wenn deine Intention ist, zu wissen, wenn deine Intention aus der Liebe zum Leben und insbesondere aus Liebe zu DEINEM Leben entspringt, wird die bewusste Erweiterungn deines Gesichtsfeldes zu Präsenz, zu Authentizität und zu Autonomie führen. All dies sind Komponenten von Kraft und Macht.
Und vergiss nicht: Es gibt nicht nur die Zeitscheiben, die Dir erschließbar sind. Wirklichkeit ist größer, als eine Menschenseele es zu fassen vermag. Du hast blinde Flecken, es gibt Felder, die Dir verschlossen bleiben werden – vergiss das nicht, wenn Du Gefahr läufst, in kausale Schlussfolgerungen zurück zu fallen. Geniesse stattdessen die gewonnene Wachheit im alltäglichen Leben, setze sie mit erweiterter Wahrnehmung für Verbindungen und Ströme ein. Lerne, zu improvisieren.
PPS: Improvisation – von lateinisch: improvisio = unvorhergesehen – entsteht, wenn wir die zeitliche Anordnung, die Reihenfolge, fallen lassen und stattdessen den scheinbar ungeordneten Strom (>> „Flow“) an Ereignissen, in dem wir stehen, durch uns geschehen lassen. Diese Entgrenzung ist, was wir als „Freiheit“ oder „Bliss“ erleben.
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