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SCHUTZRÄUME
FLUCHT UND ANKOMMEN
Konfrontiert mit den Fragen abertausender Menschen, die vor Armut und Verfolgung ihre Heimat verlassen und in unsere Lande strömen, haben sich sicher viele von Euch Gedanken über die eigenen Wurzeln, Schutzraum und Zugehörigkeit gemacht.
Manchem und mancher wird dabei bewusst geworden sein, welchen Segen eine gesicherte Rechtsstaatlichkeit, eine etablierte Demokratie und ein über Jahrzehnte entwickeltes Solidarsystem darstellen. Bei aller Kritik. Bei allen Wegen, die noch zu gehen sind. Dieses Bewusstsein entwickelte sich bei mir durch meine vielen Reisen in Länder, in denen es nicht selbstverständlich ist, dass jeder Mensch vor Gericht ziehen, eine Schulbildung erlangen und die Obersten wählen kann. Und durch meine kleinen Einblicke in die laufende Transformation Thailands lernte ich, dass diese gemeinschaftlichen Errungenschaften nicht von heute auf morgen „installiert“ werden können.
INTEGRATION IST EIN UNHALTBARES VERSPRECHEN
Sozial Engagierte, Politik und Hilfsorganisationen rufen hier nun die große Integration aus.
Aber ist Integration wirklich das, was gebaucht wird und was nachhaltig trägt ? Macht es Sinn, diese Menschen, die mehr oder weniger unfreiwillig ihre Heimat verlassen haben, fest in unserem System zu installieren ? Über Arbeitsmöglichkeiten, Häuslebau und Integrationskurse nachzudenken ? Wollen diese Menschen wirklich auf Dauer in einem Umfeld sein, dessen soziale Codierung ihnen immer fremd bleiben wird, dessen Klima, Infrastruktur und ethische Muster so grundverschieden zu ihrer Heimat ist ? Sollen die verlassenen und zerstörten Länder Ödland oder eine neue Form der Ausbeutungskolonialisierung werden ?
Mir scheint, hier schießen wir mit unserem Integrationseifer doch deutlich über das Sinnvolle und Machbare hinaus. In meinen Augen muss es darum gehen, einen explizit temporären Schutzraum bereitzustellen und die Schutzzeit dafür zu nutzen, diese Menschen auf den Wiederaufbau des eigenen Landes sich vorbereiten zu lassen. Und wie könnte das gehen ? Wie wird ein Schutzraum aufgebaut, gehütet und weitergegeben ?
SCHUTZ IN FREMDEM RAUM TRÄGT NICHT AUF DAUER
Wie so oft ist es im Großen wie im Kleinen: Freiheit, Verankerung, Integration sind Größen, die von Innen nach Außen wachsen: Erst muss das Individuum das Faustrecht zur Seite legen zu Gunsten eines Solidarsystems. Erst muss das Individuum die Mehrheit und ihre Beschlüsse über die eigenen Interessen stellen, bevor demokratische Strukturen greifen können. Ich nenne es Reife.
Wenn äußerer Schutzraum geboten wird, so wie wir es derzeit unter der Parole „Wir schaffen das!“ versuchen, so wie es im Kleinen auch geschieht, wenn Menschen sich grundsätzlich neu orientieren wollen und zu mir in eine Auszeit kommen, geht es nicht (nur) darum, Trost zu spenden und Samaritereigenschaften an den Tag zu legen. Es geht vor allem darum, dem sich Wandelnden einen möglichst direkten Weg zum eigenen Schutzraum zu ermöglichen.
Voraussetzung hierfür ist, jede Opferhaltung, jedes Verweilen im erfahrenen Leid, in der Krise zu beenden und zu respektieren, dass wir es nicht mit wehrlosen Tieren oder kleinen Kindern zu tun haben, sondern mit erwachsenen Menschen, geschwächt, traumatisiert gar, aber doch geprägt, mit einer ausgebildeten Persönlichkeit und mit der Fähigkeit, Verantwortung für den eigenen Weg zu übernehmen.
Entscheidend für das Gelingen des Neuanfangs ist die Bereitschaft, das Alte wirklich loszulassen, sich für das Neue wirklich zu öffnen.
Wir alle wissen, wie schwer das ist, trägt es doch keinerlei Garantie, Sicherheit, Gewissheit in sich. Wenn wir es mit Menschen zu tun haben – Flüchtlinge oder einfach Menschen in Umbruchsituationen – dann gilt es also, einen Schutzraum zu schaffen, in dem das Alte gehen und das Neue kommen kann. Die Erschütterungen, die uns in der Regel dazu veranlassen, den gewohnten Raum zu verlassen, sind sehr „klebrig“ und verleiten uns dazu, uns in eine Opferhaltung zu begeben, uns selbst zu bemitleiden und Forderungen an die Menschen im Umfeld zu stellen. Auf diese Weise entsteht eine Spannung, die das Loslassen erschwert und den Neuanfang behindert. Wenn wir mit unserer sozialen Ausrichtung, unserem anerzogenen Verantwortungsgefühl und unserem materiellen Reichtum nun daran gehen, die Forderungen und Erwartungen von „Opfern“ zu erfüllen, tun wir niemandem etwas Gutes.
Bevor also der Wiederaufbau – des zerstörten Landes oder des zerbrochenen Lebensentwurfs – beginnen kann, braucht es eine klare Basis auf Augenhöhe, die folgende Nachrichten und Vereinbarung enthalten muss:
1. Dies ist mein Raum und hier gelten meine Regeln. 2. Dies sind die Regeln. (..) Akzeptierst Du das ? 3. Dieser Schutzraum wird Dir für eine begrenzte Dauer – für die Dauer deiner Notsituation – gewährt. Du kannst nicht bleiben und wirst dahin zurückkehren, wo deine Wurzeln sind. 4. Wenn es möglich ist und Du es ausdrücklich wünscht, bekommst Du Ressourcen/Wissen, die es Dir vereinfachen werden, deinen angestammten Raum wieder aufzubauen und neu zu gestalten.
Stellen wir dies nicht klar und gehen stattdessen in eine Eltern-Kind-Haltung, in der wir (vergeblich) die Verantwortung des Gegenübers zu übernehmen suchen, schaffen wir Abhängigkeiten und Opfer.
In meinen kleinen Zusammenhängen bin ich manches Mal der Härte bezichtigt worden, weil ich, angesichts eines in der Krise befindlichen Menschen, diese Basis vornan gestellt habe. Manch hysterische Frau, manch selbstmitleidiger Mann ist wütend davon gestapft … in neue Abhängigkeiten hinein. Diejenigen aber, die verstanden und akzeptiert haben, daß der gebotene Schutzraum ein Übergangsstadium ist, in dem die Regeln des Raumgebenden gelten, haben in sehr kurzer Zeit zur eigenen Kraft zurück gefunden und aktiv den eigenen Schutzraum neu aufgebaut.
DEN EIGENEN SCHUTZRAUM AUFBAUEN
Wenn wir gehen, tragen wir Hoffnung in uns. Und den Schmerz des Abschieds. Und die Ungewissheit des Neuen. Aber genau diese Nacktheit, diese Geworfenheit versetzt uns in einen Zustand, in dem wir viel wacher wahrnehmen, viel empfänglicher sind, als gewohnt. Nicht nur, was die äußeren, veränderten Umstände angeht, sondern auch, was unsere ursprüngliche Beschaffenheit, unseren inneren Anker betrifft. Vorausgesetzt, Traumata und Opferhaltung wurden gut transformiert und der Schritt ins Unbekannte erfolgt offen, weitgehend angstfrei, ist das eine Chance des Klärens und Verankerns, die wir in „gesättigten“ Situationen kaum haben. Und die gilt es zu nutzen.
Die Fragen nach dem Wesentlichen, die Frage nach den ureigenen, unzuerstörbaren Kräften und Fähigkeiten kann jetzt gestellt und beantwortet werden. Was ist WIRKLICH wichtig (für mich) ? Wofür lohnt es sich, alle Kräfte zu bündeln und auszurichten (für mich) ? Wofür werde ich kämpfen, alles einsetzen, alles wagen ?
In der tiefsten Ebene kommen Antworten, die etwas mit Gesinnung und dem eigenen Verständnis von Liebe zu tun haben. Darüber schrieb ich schon viel.
Ein (zunächst innerer) Schutzraum wächst hieraus, wenn die Aufmerksamkeit – und mit ihr Gefühle, Gedanken und Handlungen – konsequent auf dieses Zentrum ausgerichtet werden. Zunächst für den Betrachter selbst. Der Betrachter arbeitet an sich, an seinem eigenen Leben, um das, was er für sich selbst als wirklich wichtig erkannt hat, weiterzuentwickeln. Mit dieser Ausrichtung – auf die eigenen Kräfte und Werte – wächst persönliche Kraft. Und ein innerer Schutzraum, eine Verortung und Sicherheit, die von äußeren Umständen nicht belangbar ist.
Währenddessen findet auch die Orientierung im geliehenen, äußeren Schutzraum statt: Neue Regeln, neue Zusammenhänge, neue Quellen für Inspiration, Austausch und auch Auseinandersetzung. Wenn die Verortung wirksam stattgefunden hat, ist diese äußere Herausforderung nicht mehr und nicht weniger als ein willkommenes Feld, den inneren Anker zu erproben, zu sichern und zu leben.
Der Mensch beginnt, sich aus seiner Mitte zu nähren, sich aufzurichten und für etwas (eigenes) zu stehen, beginnt im Umfeld Verhältnisse wahrzunehmen, die seiner Kraft, seiner Fähigkeiten und Zuwendung bedürfen. Verantwortung wird übernommen. Fürsorge für den neuen Raum wächst. Und hier beginnt der innere Schutzraum nach außen zu wachsen, der geliehene Schutzraum wir schrittweise verlassen und ein neuer, eigener Raum gestaltet sich in der dienenden, verankerten Interaktion.
Dies ist nur eine kurze, recht abstrakte Zusammenfassung des Prozesses, den ich mittlerweile bei über 700 Menschen beobachtet und begleitet habe. Ich bin überzeugt davon, dass er im Grundsatz und in seiner Choreografie ebenso funktioniert für Flüchtlinge aus Kriegsgebieten und politischer Verfolgung.
Zentral ist und bleibt: Nur Augenhöhe führt zu nachhaltiger Resilienz. Wir haben es mit Erwachsenen zu tun, die ein vollständiges „Paket“ an kulturellen, sozialen und politischen Prägungen tragen, das sie – vermutlich –lieber dort einbringen wollen, wo sie die soziale Codierung entschlüsseln und wirklich ankommen können.
Möge es uns gelingen, die Vielen, die in großer, existentieller Not sind und Zuflucht bei uns suchen, an die gewachsene Prinzipien unserer Kultur heranzuführen. Ohne Arroganz, ohne Blindheit für das, was wir auch von ihnen lernen können. Doch mit aufrechter Integrität zu unserer eigenen Kultur. Und mit einer klaren Unterscheidung zwischen Übergang und Zukunft.
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DAS ADITI-HAUS

… ja, das ist es… 🙂
Als ich am 10. August auf den Schotterweg abbog und durch den Eschenwald den Hügel hinauffuhr, wurde mir ganz leicht ums Herz. Am Haus angekommen, erkannte ich es wieder: Das war der Platz, den ich im Geiste schon gesehen hatte, hier lag auf dem ganzen, riesigen Grundstück ein lichter Zauber, ein freundliches, sanftes „Willkommen ! Wie schön dass Du da bist!“, das sich nicht nur an mich, sondern an jeden, der Ruhe und Klarheit sucht, zu richten schien.
Während der ersten Grundstücksbegehung begegneten uns ein Falke, ein Kauz und ein Reh. Es war keine Frage des „ob“ mehr – nur noch eine Frage des „wie“. Sechs Tage später unterzeichnete ich den Kaufvertrag.
Und ging damit eine Herausforderung – in jeder Hinsicht – an, die ALLES von mir fordert. Auf meiner seligen Rückfahrt nach Berlin war ständig ein Wort in mir: „Aditi“.
Ich verstand es als eine Nachricht, vielleicht den Namen des Ortes, und googelte nach seiner Bedeutung. Und siehe da, das ist was ich fand:
„Aditi (Sanskrit, f., अदिति, aditi, „ungebunden“, „unbegrenzt“, „unendlich“, „frei“) ist eine Mutter- und Himmelsgöttin der hinduistischen Mythologie,[1] die bereits in den Veden besungen wird.“ Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Aditi
Ich musste lachen und weinen zugleich- wie passend ! Aufbruch also, Abschied von meinem über zwanzig Jahre angestammten Adlerhorst in Berlin, der mir zwischen meinen vielen Reisen immer wieder Zeit zum Auftanken und zugleich die Vielfalt der „wilden Stadt“ geboten hatte. Abschied von meinen Freunden, vom Orchester, vom Chor … und Neubeginn in meinem Mutterland, bei Menschen, mit denen ich ebenfalls seit mehr als einem Vierteljahrhundert vertraut bin . Nun steht richtig viel Arbeit an, denn nicht nur das Haus, das seit 50 Jahren nicht dauerhaft bewohnt wurde, wünscht sich Hinwendung und Ordnung, sondern auch das gigantische Grundstück, das wild ist und weitgehend wild bleiben soll, ruft danach, aufgeräumt, gepflegt und gewürdigt zu werden. Ich habe so viele Ideen – eine Bieneninitiative im Landkreis, natürlich die Wild Natural Spirits auf dem Grundstück verankern, ein Ritualplatz mit Schwitzhütte, vielleicht auch ein Platz für tierische Rentner/innen… Wer soll das alles machen ? … und bezahlen ?
Das Haus und die Realität lehren mich: Hab Geduld, vertraue. Schutzräume entstehen von innen nach außen. Und das Leben ist so viel kreativer, als ein Menschenhirn sich ausdenken kann.
So will ich es tun.
Mal sehen, wie weit ich im Herbst noch komme – vielleicht erhaltet Ihr, liebe Wdww-Alumni – ja sogar noch eine Einladung zum nachträglichen Jahrestreffen… Aditi – Ankommen dort, wo der Ort ist, der meinem Wirken, meiner Intention und meinem Wesen entspricht. Danke. Und: Willkommen !!
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